Samstag, 24. Januar 2009
 
Verrat und eine Falle PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Michael Genner   
Montag, 19. Mai 2008

Der letzte Teil der 1968er-Memoiren des Obmanns von Asyl in Not.


Je erfolgreicher wir gegen Nazis und Heime kämpften, je mehr wir unter der Arbeiterjugend Fuß fassten, umso verhasster waren wir unseren Feinden. Umso sicherer kam der Gegenschlag.

Ich hatte ein Verfahren am Hals, weil ich die Tochter eines SPÖ-Funktionärs „entführt“ hatte. Sie war SPARTAKUS-Mitglied, ihr Vater verbot es ihr und schlug sie, daß ihr das Trommelfell platzte (da fällt mir ein: er war ein Funktionär der „Kinderfreunde“); ich riet ihr, unterzutauchen, und versteckte sie, bis er (wie Liesls Vater bei der Aktion „Romeo und Julia“) einen Vertrag mit mir unterschrieb, daß sie bei uns sein  dürfe.

Anders als Liesls Vater, brach er jedoch sein Wort und holte seine Tochter mit der Polizei (die ihm einredete, er müsse den ihm „abgepressten“ Vertrag nicht halten) von uns ab. Sie war dann ein Jahr lang in einem Internat, bis ihr die Rückkehr gelang; später hat sie bei uns eine führende Rolle gespielt. Ich wurde wegen „Entführung, Erpressung und Widerstands gegen die Staatsgewalt“ angeklagt.

Jakob Mytteis, unser Obmann, war wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ anlässlich einer Demonstration gegen den Schah von Persien zu einer Haftstrafe verurteilt worden; die Wiener Polizei hatte damals, im Bund mit dem iranischen Geheimdienst Savak, Jagd auf Demonstranten gemacht. Hauptzielscheibe aber war unser Vorstandsmitglied Willi Stelzhammer.

Die Nazis hatten auch das Bundesheer unterwandert. 1971 rief SPARTAKUS gemeinsam mit anderen Jugendgruppen und dem „Volksbegehren zur Abschaffung des Bundesheeres“ zu einer Demonstration gegen Bundeskanzler Bruno Kreiskys rechtsextremen Heeresminister, General Karl Lütgendorf, auf. Willi Stelzhammer war Leiter des Ordnerdienstes; alle verbündeten Organisationen hatten ihn mit dieser Aufgabe betraut.

Wie erwartet, wurde unsere Demonstration (an der etwa 4000 Menschen teilnahmen) von Nazischlägern überfallen, an deren Spitze Ausbildner des Bundesheeres standen. Sie provozierten, warfen Steine und begleiteten unseren Zug bis zum Heeresministerium. Dort wurden sie von unseren Ordnern verprügelt und liefen davon.

Eine der zentralen Parolen der Lütgendorf-Demonstration war die Bildung von Kasernenkomitees. Willi Stelzhammer ging bald danach selbst als Soldat zum Bundesheer und gründete in der Karlskaserne ein solches Komitee. Später wurde er versetzt, hielt aber zu seinen bisherigen Kameraden Kontakt.

Ein Leutnant, der zu den Scharfmachern gehörte, erklärte im Februar 1972 in der Karlskaserne den Alarmzustand und behauptete, SPARTAKUS wolle die Kaserne überfallen; davor habe ihn die Staatspolizei gewarnt. Man solle auf Verdacht sofort schießen und erst dann rufen: „Halt, wer da“.

Willi wurde vom Kasernenkomitee darüber informiert. Wir rieten ihm, nicht in seine Kaserne zurückzukehren, und verlangten von Bundeskanzler Kreisky (vergeblich) Garantien für seine Sicherheit.

Kurz vorher hatte mich Günther Nenning, Herausgeber des „Neuen Forum“ und Leiter des Anti-Bundesheer-Volksbegehrens, zu sich gebeten. Bei ihm saß ein Mann, den er mir als „Genossen von der Baader-Meinhof-Gruppe“ vorstellte. Ob ich eine Möglichkeit hätte, ihn zu verstecken?

Ich hatte Nenning immer misstraut. Er war jahrelang ein Wortführer des rechten Flügels der SPÖ gewesen, hatte sich aber nach der Demonstration am 1. Mai 1968, als ich rausflog, mit mir solidarisiert. Das „Forum“ hatte er von Friedrich Torberg, einem Sprachrohr des CIA in Österreich, übernommen.  

Seinen plötzlichen Kurswechsel nahm ich zur Kenntnis, akzeptierte auch seine spätere (finanzielle und politische) Unterstützung für SPARTAKUS, aber instinktiv wartete ich immer darauf, dass er uns eines Tages verriet.

Auch hatte ich keinerlei Sympathien für die RAF. Nicht weil ich grundsätzlich gegen Gewalt wäre. Sondern weil das, was sie tat, der gesamten Linken schadete. Früher hatte ich Artikel von Ulrike Meinhof gelesen und sie sehr geschätzt. Auch sie hatte sich für Heimzöglinge eingesetzt. Aber sie war in eine Falle gegangen. Eine Falle der deutschen Polizei.

Es ist eine alte Lehre der Geschichte: Die Polizei versucht, die radikalste Gruppe innerhalb einer unbequemen Bewegung zu isolieren, zu provozieren, zu infiltrieren und schließlich als Werkzeug zu benutzen. Um mehr Vollmachten zu bekommen, Notstandsgesetze durchzudrücken, einen Polizeistaat zu installieren. Und um der Bewegung, für die diese Gruppe stand, die Spitze abzubrechen.

In Österreich waren wir für diese Rolle vorgesehen. Teile der Polizei wollten uns zur österreichischen Baader-Meinhof-Bande machen. Das kann ich nicht beweisen. Nur riechen konnte ich es. Nennings Vorschlag war eine Falle, eine klassische Provokation. Ich lehnte sofort ab.

Im Februar 1972, zeitgleich mit dem Alarm in der Kaserne, wurde dieser Mann, den Nenning mir vorgestellt hatte, ein gewisser Günther Voigt, verhaftet. „Die Presse“ (4.2.1972) berichtete darüber unter dem Titel „Deutsche Tupamaros in Wien gesucht“.

In diesem Artikel stand (zutreffend), daß wir nach dem Naziüberfall in Mürzzschlag Waffenscheine zwecks Selbstverteidigung beantragt hatten, was jedoch von den Behörden verweigert worden war. Woraus die „Presse“ die groteske Schlußfolgerung zog, aus diesem Grund hätten wir nun die „wesentlich potenteren deutschen Tupamaros um Instruktion und Material“ ersucht.

Wenige Tage später warfen Nazis einen Sprengkörper durch ein Fenster unserer Wohngemeinschaft in der Theobaldgasse.

In dieser Situation fassten wir den Beschluß, die Arbeit von SPARTAKUS in Österreich einzustellen und ins Exil zu gehen. Wir hielten das für die einzige Alternative zum Abdriften in den Terror und in den Untergang.

Wir gingen in die Schweiz, wo unsere Schwesterorganisation „Hydra“ uns gastfreundlich aufnahm. Später gründeten wir in Frankreich die „Europäische Kooperative Longo mai“. Aber das ist eine andere Geschichte.

Heute halte ich unseren damaligen Entschluß für falsch. Wir hätten dableiben sollen - und doch nicht in die Falle gehen. Wir hätten die Prozesse, die uns bevorstanden, als Waffe nutzen sollen, um die Missstände, gegen die wir kämpften, anzuprangern. Und einfach – weitermachen.

Wir gingen aber von der falschen Annahme aus, dass „die Verschärfung“, ja geradezu ein neuer Faschismus vor der Türe stand. Tatsächlich aber waren Kreisky und Justizminister Christian Broda im Begriff, demokratische Reformen durchzuführen, zu denen wir den Anstoß gegeben hatten. Wir hätten die Früchte unserer Arbeit ernten können. Broda selbst sprach von „Arbeitsteilung“ zwischen ihm und uns.

So die Heimreform: Die Bundeserziehungsanstalten wurden 1975 von Broda abgeschafft. Es war unser Erfolg - aber wir waren nicht mehr da. Jugendamt und Bewährungshilfe richteten, wie wir es gefordert hatten, offene Wohngemeinschaften ein. Damit fiel ein wichtiges Druckmittel gegen die Jugend, ein Bollwerk der bürgerlichen Familie weg.

Überhaupt begannen die Menschen damals freier zu atmen in diesem Land. Die Macht der Kirche wurde durch die Fristenlösung eingedämmt. Die Abschaffung der Studiengebühren öffnete die Universitäten und machte breiten Massen den Zugang zur Bildung frei.

Die gegen uns eingeleiteten Verfahren wurden 1976 - nach einer in der Schweiz geführten Amnestiekampagne - von Bundespräsident Kirchschläger auf Antrag des Justizministers Broda (und auf Wunsch von Bundeskanzler Kreisky) niedergeschlagen.

Aus „Longo mai“, das eine Zeitlang zu einer autoritären Sekte verkam und eine andere Art von Falle war, habe ich mich 1977 „selbst ausgeschlossen“ (diesen Ausdruck kannte ich doch von irgendwo?), habe mich später (als „Longo mai“ in den Medien angegriffen wurde) wieder solidarisiert, bin aber 1986 endgültig von dort gegangen.

Seit 1989 betreue ich Flüchtlinge, vertrete sie im Asylverfahren und kämpfe (nach langen Irrwegen) wieder – wie in der Heimkampagne – an einer besonders sensiblen Stelle der Front. Dort, wo die Menschenrechte am meisten gebrochen werden. An der Seite der am meisten Unterdrückten, Entrechteten. So schließt sich der Kreis.

Unser Ausflug in die Vergangenheit ist damit zu Ende. Wir wenden uns wieder der Gegenwart und Zukunft zu. Neue Kämpfe stehen uns bevor. Liebe Leserinnen und Leser: Kämpfen Sie mit!

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